Umformtechnik – Grundlagen, Verfahren und Anwendungen der modernen Fertigungstechnologie

Einleitung

Die Umformtechnik gehört zu den zentralen Säulen der modernen Fertigungstechnik. Sie ist eine der ältesten und zugleich fortschrittlichsten Methoden zur Herstellung metallischer Bauteile. Ob im Automobilbau, in der Luftfahrt, im Maschinenbau oder in der Medizintechnik – überall dort, wo präzise, belastbare und wirtschaftlich gefertigte Metallkomponenten gefragt sind, spielt die Umformtechnik eine entscheidende Rolle.

In diesem ausführlichen Artikel wird erklärt, was Umformtechnik ist, welche Verfahren es gibt, wie die Prozesse funktionieren, welche Materialien verwendet werden, welche Vorteile die Technologie bietet und welche Zukunftsperspektiven sich durch Digitalisierung, Automatisierung und Nachhaltigkeit ergeben.


1. Was ist Umformtechnik?

Die Umformtechnik ist ein Teilgebiet der Fertigungstechnik, bei dem Werkstücke durch plastische Verformung eine neue Gestalt erhalten, ohne dass Material abgetragen oder hinzugefügt wird. Das bedeutet: Das Volumen des Materials bleibt konstant, während seine Form gezielt verändert wird.

Definition

Nach DIN 8580 gehört die Umformtechnik zu den sechs Hauptgruppen der Fertigungsverfahren. Das Ziel ist die Formänderung eines festen Körpers durch plastische Verformung.

Einfach ausgedrückt:
Bei der Umformtechnik wird das Material verformt, nicht entfernt – im Gegensatz zur Zerspanung, bei der Späne abgetragen werden.


2. Grundprinzip der Umformung

Das grundlegende physikalische Prinzip basiert auf der plastischen Verformbarkeit von Materialien. Sobald ein Werkstoff über seine Elastizitätsgrenze hinaus belastet wird, behält er eine bleibende Formänderung bei. Dieser Prozess ist reversibel bis zur sogenannten Streckgrenze – danach bleibt die neue Form erhalten.

Wichtige Kenngrößen:

  • Spannung (σ): Maß für die auf das Material wirkende Kraft pro Fläche.
  • Dehnung (ε): Maß für die relative Längenänderung.
  • Fließgrenze: Spannung, bei der das Material zu fließen beginnt (plastische Verformung).

Bei der Umformung spielen Temperatur, Geschwindigkeit und Reibung zwischen Werkzeug und Werkstoff eine entscheidende Rolle.


3. Einteilung der Umformverfahren

Die Umformtechnik lässt sich nach verschiedenen Kriterien gliedern – insbesondere nach der Art der Beanspruchung und der Prozesstemperatur.

3.1 Nach Art der Beanspruchung (DIN 8582)

  1. Druckumformen – z. B. Schmieden, Walzen, Strangpressen
  2. Zugdruckumformen – z. B. Tiefziehen, Drücken
  3. Zugumformen – z. B. Streckziehen, Längen
  4. Biegeumformen – z. B. Abkanten, Rundbiegen
  5. Schubumformen – z. B. Drückwalzen, Fließpressen

3.2 Nach Temperatur

  1. Kaltumformung – unterhalb der Rekristallisationstemperatur (z. B. Bleche, Drähte)
  2. Halbwarmumformung – zwischen Kalt- und Warmumformung
  3. Warmumformung – oberhalb der Rekristallisationstemperatur (z. B. Schmieden von Stahl)

4. Die wichtigsten Verfahren der Umformtechnik

4.1 Schmieden

Beim Schmieden wird Metall durch Druckkräfte zwischen Werkzeugen (z. B. Hammer, Presse) plastisch verformt.
Arten des Schmiedens:

  • Freiformschmieden
  • Gesenkschmieden
  • Präzisionsschmieden

Anwendung: Kurbelwellen, Zahnräder, Achsen, Werkzeuge.

4.2 Walzen

Hierbei wird ein Werkstück zwischen zwei oder mehr rotierenden Walzen hindurchgeführt, wodurch es in der Dicke reduziert und in der Länge gestreckt wird.
Walzarten:

  • Längswalzen
  • Querwalzen
  • Profilwalzen

Typische Produkte: Bleche, Profile, Schienen.

4.3 Tiefziehen

Beim Tiefziehen wird ein ebenes Blech in eine Hohlform gezogen, ohne dass der Werkstoff reißt.
Typische Produkte: Dosen, Karosserieteile, Spülbecken.

4.4 Biegen

Das Biegen ist ein einfaches, aber wichtiges Verfahren zur Herstellung von Rohren, Schienen oder Blechteilen.
Biegearten: Freies Biegen, Gesenkbiegen, Dreiwalzenbiegen.

4.5 Strangpressen

Beim Strangpressen wird ein Werkstoff unter hohem Druck durch eine formgebende Öffnung (Matrize) gepresst.
Anwendungen: Aluminiumprofile, Kupferrohre.

4.6 Fließpressen

Beim Fließpressen wird der Werkstoff in einem geschlossenen Gesenk so verformt, dass er in Fließrichtung gedrückt wird.
Vorteil: Sehr hohe Maßgenauigkeit und Oberflächenqualität.
Beispiele: Bolzen, Hülsen, Zahnräder.


5. Materialien in der Umformtechnik

Die Auswahl des richtigen Materials ist entscheidend für den Erfolg eines Umformprozesses.

Typische Werkstoffe:

  • Stähle: am häufigsten eingesetzt (z. B. Baustahl, Edelstahl, Werkzeugstahl)
  • Aluminium und Legierungen: leicht, gut umformbar
  • Kupfer und Messing: hervorragende Duktilität
  • Titan: für Hochleistungsanwendungen
  • Magnesium: für leichte Strukturen

Die Umformbarkeit hängt von der Kristallstruktur und der Temperaturabhängigkeit der Werkstoffe ab.


6. Werkzeuge und Maschinen der Umformtechnik

Für jeden Umformprozess sind präzise Werkzeuge erforderlich.
Beispiele:

  • Pressen (Hydraulik- oder Exzenterpressen)
  • Walzwerke
  • Ziehmaschinen
  • Gesenkwerkzeuge
  • Matrizen und Stempel

Die Qualität der Werkzeuge beeinflusst die Maßhaltigkeit, die Oberflächengüte und die Standzeit erheblich.

Moderne Anlagen sind oft mit CNC-Steuerungen, Sensorik und automatisierten Messsystemen ausgestattet.


7. Vorteile der Umformtechnik

  1. Hohe Werkstoffausnutzung: kein Materialverlust wie beim Fräsen oder Drehen.
  2. Hohe Festigkeit: durch Kaltverfestigung und Faserverlauf.
  3. Präzision: enge Toleranzen sind möglich.
  4. Oberflächenqualität: glatte und dichte Oberflächen.
  5. Wirtschaftlichkeit: besonders bei großen Stückzahlen kosteneffizient.
  6. Nachhaltigkeit: geringer Energieverbrauch im Vergleich zu spanenden Verfahren.

8. Grenzen der Umformtechnik

Trotz vieler Vorteile gibt es auch Einschränkungen:

  • Hohe Werkzeugkosten bei kleinen Serien.
  • Begrenzte Umformbarkeit bei spröden Materialien.
  • Komplexe Berechnung der Umformkräfte.
  • Temperaturabhängige Eigenschaften können variieren.

9. Simulation und Digitalisierung

Die moderne Umformtechnik nutzt digitale Simulationen zur Prozessoptimierung.
Software wie AutoForm, LS-DYNA oder Deform simuliert:

  • Materialfluss
  • Spannungsverteilung
  • Rissbildung
  • Werkzeugbelastung

Durch Finite-Elemente-Analysen (FEA) können Entwickler bereits in der Planungsphase prüfen, ob ein Bauteil fehlerfrei hergestellt werden kann.

Zudem werden Prozesse zunehmend mit KI und Machine Learning überwacht, um Ausschuss zu vermeiden und Energie zu sparen.


10. Automatisierung in der Umformtechnik

Dank Industrie 4.0 und digitaler Vernetzung werden Umformprozesse immer intelligenter.

  • Roboterarme übernehmen das Werkstückhandling.
  • Sensorik überwacht Temperatur, Kraft und Position.
  • Vernetzte Steuerungssysteme sorgen für konstante Qualität.

In modernen Fertigungslinien kommunizieren Maschinen in Echtzeit miteinander – ein wichtiger Schritt Richtung Smart Factory.


11. Nachhaltigkeit und Energieeffizienz

Ein zentrales Thema der Gegenwart ist die nachhaltige Produktion.
In der Umformtechnik wird daran gearbeitet:

  • Materialabfall zu minimieren
  • Energieverbrauch zu senken
  • Werkzeugstandzeiten zu verlängern
  • Recyclingmaterialien zu verwenden

Innovative Verfahren wie das Warmblechumformen reduzieren Energieverluste, und der Einsatz von Hochleistungsölen minimiert Reibung.


12. Qualitätskontrolle

Die Qualitätskontrolle in der Umformtechnik umfasst:

  • Messungen von Bauteilgeometrien
  • Oberflächenprüfungen
  • Härte- und Zugprüfungen
  • Riss- und Fehleranalyse

Zur zerstörungsfreien Prüfung (ZfP) kommen Methoden wie Ultraschall, Röntgen oder Magnetpulverprüfung zum Einsatz.


13. Wirtschaftliche Bedeutung der Umformtechnik

Die Umformtechnik ist ein zentraler Wirtschaftszweig der industriellen Fertigung.
In Deutschland zählt sie zu den Kernkompetenzen des Maschinen- und Anlagenbaus.

Statistische Fakten:

  • Über 20 % aller metallischen Bauteile werden durch Umformprozesse hergestellt.
  • Der Markt wächst durch Leichtbau- und Elektromobilitätsanwendungen kontinuierlich.
  • Exportanteile deutscher Umformmaschinen liegen bei über 70 %.

14. Anwendungen der Umformtechnik

Die Einsatzgebiete sind extrem vielfältig:

  • Automobilindustrie: Karosserieteile, Getriebekomponenten
  • Luftfahrt: Strukturbauteile aus Titan oder Aluminium
  • Maschinenbau: Zahnräder, Wellen, Lager
  • Energiebranche: Turbinenteile, Rohrsysteme
  • Medizintechnik: Implantate, chirurgische Instrumente

15. Zukunftsperspektiven

Die Zukunft der Umformtechnik liegt in der digitalen, nachhaltigen und intelligenten Produktion.
Künftige Entwicklungen:

  • Additive und hybride Fertigungssysteme
  • Einsatz von KI für Prozesssteuerung
  • Sensorintegrierte Werkzeuge
  • Nachhaltige Werkstoffe und Recyclingprozesse
  • Flexibilisierte Fertigungszellen

Die Kombination aus klassischer Umformtechnik und modernen Technologien wird völlig neue Möglichkeiten schaffen – insbesondere in der Individualfertigung und Kleinserienproduktion.


Fazit

Die Umformtechnik ist eine Schlüsseltechnologie der industriellen Fertigung. Sie vereint Wirtschaftlichkeit, Präzision und Nachhaltigkeit und bleibt trotz zunehmender Digitalisierung ein unverzichtbarer Bestandteil moderner Produktionssysteme.

Ob Schmieden, Walzen, Tiefziehen oder Biegen – jedes Verfahren leistet einen entscheidenden Beitrag zur Herstellung komplexer Bauteile, die unser tägliches Leben prägen. Mit der fortschreitenden Automatisierung und digitalen Vernetzung wird die Umformtechnik in Zukunft noch effizienter, umweltfreundlicher und präziser – und bleibt damit ein entscheidender Motor für die Industrie 4.0.

By letrank